Tuesday, May 24, 2016

Abschied.

Egal in welcher Hinsicht - "Abschied" und "Abschied nehmen" gehören definitiv zu den am negativsten konnotierten Worten und erfordern größere Überwindung als ein Bungee Jump und mehr Kraft als der größte Fitnessstudio-Idiot vorgibt zu haben. Zumindest wenn es für immer ist und nicht nur für eine bestimmte Zeit. Auf einen temporären Abschied kann man sich vorbereiten, man kann Kontakt halten, man kann voraus planen und am allerwichtigsten: Man hat halbwegs Kontrolle über die Situation. Aber bei einem allerletzten Abschied verliert man genau diese Kontrolle und damit den Boden unter den Füßen. Hat man wirklich alles Wichtige gesagt? Wurden meine Worte missverstanden? Haben meine Worte überhaupt etwas bewirkt? Sind das die Worte, die ein sterbender Mensch als allerletztes von seinem Umfeld hören möchte? Obwohl man weiß, dass diese Fragen wenig produktiv sind und niemals beantwortet werden und zig verschiedene Hypothesen aufgestellt werden könnten, gerät man trotzdem in diese Gedankenspirale. Und weil solche Gedanken nicht genug sind, kommen noch neue Schuldgefühle zu den davor vorhandenen dazu. Warum hab ich mich nicht früher damit auseinandergesetzt und abgedroschene Scheiße von mir gegeben? Warum musste ich genau in diesen Tagen eine verfickte Erkältung haben, die mich davon abhielt, dir näher als einen halben Meter zu kommen und jeglichen Körperkontakt abzulehnen erzwang? Warum haben wir dich in diesem beschissenen Krankenhaus gelassen? Warum habe ich noch mein ganzes Leben vor mir, während du - untertrieben - krepieren musstest?

Eigentlich müsste man glücklich sein, denn dir geht es jetzt deutlich besser, genauso wie dem anderen lieben Menschen, den du jetzt endlich wiedersehen darfst. Aber aus egoistischen Gründen geht das natürlich nicht und das macht die Gesamtsituation nur noch schlimmer. So fern und unbegreifbar das Konzept "Der Mensch ist weg und wird es für immer bleiben" aufgrund seines "für immer" ist, so fern ist auch der Gedanke, dass das eben dieser Gedanke noch bis ans Lebensende - also durchschnittlich noch 60 Jahre - sein wird. Sechzig fucking Jahre - sechs Jahrzehnte, das dreifache meiner jetzigen Lebenszeit. Und ich halte schon kaum die jetzigen 26 Stunden aus. Natürlich heilt die Zeit alle Wunden, blabla, aber die Zeit bringt eben niemals ein Familienmitglied wieder und kann das auch nicht mal ansatzweise kompensieren, egal was man tut oder wen man kennenlernt. Quasi die ganze Stadt erinnert mich an euch und obwohl das positiv klingt, schmerzt es doch irgendwie irgendwo, weil ich weiß, dass ihr das nicht mehr miterleben könnt und leider beide unschön in dieser Stadt versterben musstet.

Wenige Stunden vor deinem Tod habe ich das erste Mal in meinem Leben von dir gehört, dass es dir "schrecklich" geht. Selbst als du den zweiten, miesesten Krebs und üble Prellungen und Schwellungen am ganzen Körper hattest, hast du darüber gelacht und deine "I don't give a fuck"-Mentalität aufrecht erhalten (und das nicht im Sinne von jedem zweiten Gör heutzutage, was dann im Endeffekt doch zuhause heimlich heult...).
Bei deinem Mann konnte ich alles "dank" riesiger physischer Entfernung und einem geregelten Tagesablauf mit gewissen Pflichten und einem komplett anderen Leben in einer komplett anderen Umgebung gut verdrängen. Aber wenn man den Sterbeprozess direkt miterlebt und damit eingehend auch merkt, wann die Zeit langsam kommt und das letzte Bild leider "ungesund" ist, ist ein ungeregelter Tagesablauf ohne Pflichten leider noch nutzloser beim Verarbeiten.

Und wie man merkt: Es endet wirklich alles in einer Spirale aus Selbstmitleid. Aber trotzdem hoffe ich, dass es euch jetzt wieder besser geht und danke euch dafür, dass ihr dazu beigetragen habt, nicht nur meine ersten 20 bzw. 21 Jahre bereichert zu haben, sondern auch die Welt im Allgemeinen, was man nicht von vielen Leuten in eurem Alter behaupten kann.

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